Deindustrialisierung

Deutschland im Strukturwandel

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Die deutsche Wirtschaft gerät durch die aktuellen Multikrisen immer mehr unter Druck. Vorbei scheinen die Zeiten der globalen Wettbewerbsvorteile und Wohlstandsgewinne für alle zu sein. Immer mehr Unternehmen verlassen Deutschland, darunter leider viele Produzenten und nicht nur Konzerne wie BASF und VW. Kostal aus Lüdenscheid verlagert z. B. nach Ungarn, Villeroy & Boch Fliesen geht in die Türkei. Zudem überlegen nach Angaben des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) viele Maschinenbauer eine Verlagerung in die USA. Dort sind nicht nur genügend Fachkräfte verfügbar und die Energiepreise um den Faktor 10 niedriger, sondern es winken auch kräftige Subventionen nach dem neuen Inflation Reduction Act (IRA) der Biden Administration.

Sinkende Produktion

Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften schlagen daher Alarm und warnen vor einer Deindustrialisierung. Prof. Marcel Fratzscher vom DIW Berlin beschwichtigt hingegen. Die Warnungen seien übertrieben und dienen lediglich dazu, Subventionen abzugreifen. Die Zahlen sagen jedoch etwas anderes. Die Deindustrialisierung ist real. Die Industrieproduktion sinkt bereits seit 2018, seit die strengen EU-Abgasrichtlinien die deutsche Automobilindustrie in die Knie zwang. Der Produktionsindex des produzierenden Gewerbes in Deutschland sank von 107,4 (2017) auf heute 97,6. Im August 2021, im ersten Jahr der Corona-Krise, lag er sogar nur bei 77,2. Seitdem gehen gut bezahlte Industriearbeitsplätze in der deutschen Kernindustrie verloren. Mit schlechtbezahlten Gig-Jobs bei Amazon, Lieferando & Co. lässt sich unser ausuferndes Sozialsystem jedenfalls nicht lange finanzieren.

Explodierende Energiepreise

Die Deindustrialisierung verstärkt sich seit 2021 vor allem durch die steigenden Energiepreise, die von Politik und Medien ausnahmslos nur auf Putin geschoben werden. Doch der Ukraine-Krieg hat nur eine Entwicklung beschleunigt, die auch schon 2021 erkennbar war und zum Teil auch hausgemacht ist.

  • So hat die Politik mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus der Kohle und Kernkraft erhebliche Kraftwerkskapazitäten reduziert, ohne bereits ein stabiles neues Versorgungssystem zu haben. Gaskraftwerke mussten daher bereits 2021 in den Grundlastbetrieb gehen, was den Preis an der Amsterdamer Gasbörse hochtrieb. Durch den Wegfall der russischen Gasversorgung stiegen die Preise weiter, da Deutschland im August 2022 große Teile des Marktes für die eigenen Gasspeicher leergekauft hat. Die Großhandelspreise für Gas betrugen in der Spitze dann im August 2022 über 350 Euro pro Megawattstunde.
  • Damit begann dann auf dem Strom-Spotmarkt im September 2022 der zweite Akt des Dramas. Aufgrund des als Merit-Order-System bezeichneten Marktdesigns, bei dem der Grenzpreis des letzten zugeschalteten Kraftwerkes den Preis des Gesamtmarktes bestimmt, explodierte auch der Strompreis auf dem Spotmarkt auf fast 500 Euro pro Megawattstunde. Die Betreiber von Kraftwerken und regenerativen Anlagen, deren Grenzkosten meist lediglich zwischen 10 und 60 Euro liegen, fuhren im Herbst 2022 exorbitante Übergewinne ein. Auch der Staat verdiente kräftig mit.

Deutschlands Geschäftsmodell

Doch nicht nur die steigenden Energiepreise sorgen vor allem beim produzierenden Mittelstand für Unruhe, sondern auch die marode Infrastruktur in Deutschland. So sind viele Autobahnen kaputt oder wie bei der A45 im mittelständisch geprägten Südwestfalen auf Jahre komplett gesperrt. Auch die Internetanbindung in ländlichen Regionen lässt zu wünschen übrig. Hinzu kommen hohe Abgaben und der Fachkräftemangel. Deutschlands auf die Exportwirtschaft stützendes Geschäftsmodell ist erheblich in Gefahr. Im neuen Länderindex 2022 der Stiftung Familienunternehmen steht Deutschland daher nur noch auf Platz 18 von 21 Industriestaaten.

Es muss was geschehen

Bei den vielen Politikerreden, in denen von der großen Transformation geschwärmt wird, entsteht mitunter der Eindruck, dass die Deindustrialisierung und „Degrowth“ gewollt sind. Mit aller Macht wird die Wende hin zu einer grünen, digitalen und sozialen neuen Welt vorangetrieben. Das kann angesichts des innovativen und sich immer wieder neu erfindenden Mittelstands gut gehen, kann aber auch zum Niedergang Deutschlands führen, wenn die Disruption zu schnell geht und neue Arbeitsplätze nicht entstehen. Mit Subventionen aus der Druckerpresse wird der Wettbewerb gegen China und die USA jedenfalls auf Dauer nicht zu bestehen sein.

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